Im Herbst und Winter sind die Flugmöglichkeiten meist rar. Doch es gibt auch in der kühlen Jahreszeit schöne Flugtage. Mit der jahreszeitlich richtigen Interpretation der Windprognosen kann man sie leichter erkennen.
Wetterprognosen sind Modellrechnungen
Ein paar Grundlagen vorab zum besseren Verständnis. Wer eher pragmatisch orientiert ist, kann auch gleich hier weiter lesen >
Alle unsere Wetterprognosen basieren auf Modellrechnungen. Sie versuchen, das nahezu unendlich komplexe Phänomen Wetter auf die wichtigsten mess- und darstellbaren physikalischen Größen zu reduzieren, z.B. Temperatur, Luftfeuchte usw. Um aus der Fülle von Messdaten und Satelliteninformationen (Analysedaten) Prognosen erstellen zu können, werden diese anschließend gerastert, d.h. man »zerlegt« die Lufthülle in lauter kleine Pakete. In der Regel sind diese in der Fläche dreieckig und reichen über eine definierte Höhenschicht. Für die Prognoserechnung im Wettermodell weist man nun dem gesamten Luftpaket einer solchen Zelle dieselben (durchschnittlichen) Zustandswerte zu.
Je nach Wettermodell sind die Zellen unterschiedlich groß: fein auflösende Modelle haben eine Gitterweite ab 1,5 km / 100m (z.B. AROME, NEMS4, COSMO) die gröberen 11-30km / 300-1000m (z.B. ECMWF, NEMS12, GFS22). Die feineren Modelle bilden zwar den Zustand genauer ab, als die größerer Gitterweite, sind aber auch weitaus empfindlicher für »Spitzenfehler«, d.h. extreme Werte, die z.B. auf einem Berggipfel oder in einem kalten Tal gemessen werden. Hinzu kommt der enorme Rechenaufwand für große Datenmengen, weshalb die hochauflösenden Modelle hauptsächlich für die Kurzfristprognose taugen, die mit größerem Zellengitter besser für die mittelfristigen Vorhersagen.
Eine Zustandsbeschreibung und die daraus resultierede Prognose gilt in der Regel immer für den Durchschnitt einer ganzen solchen Zelle (z.B. bei Meteoblue). Ausnahmen sind Punkt-Prognosen, die Erfahrungswerte für diese Orte (meist Wetterstationen) in die Rechnung mit einbeziehen (z.B. bei Meteomedia).
Modellschwerpunkte
Wer Wetterprognosen aufmerksam studiert wird vielleicht schon festgestellt haben, dass mache Vorhersage die Temperatur, andere den Niederschlag und wieder andere den Wind einigermaßen genau wiedergeben, selten aber stimmt eine einzige Modellvorhersage für alle Parameter. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Schwerpunkten der jeweiligen Modellrechnungen: manche sind Windoptimiert, manche sagen die Temperatur sehr gut voraus und wieder andere am besten den Niederschlag. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es deshalb noch nicht, weil sie zum einen die Kapazitäten der Rechenzentren sprengen würde und zum anderen die enorme Menge an zu verarbeitenden Parametern auch große Fehlermöglichkeiten produzieren kann. Es gilt: je genauer ein Modell theoretisch sein kann, desto mehr kann es auch im Einzelfall mal daneben liegen. Dies versuchen die Meteo-Mathematiker zu vermeiden, indem sie nicht alle Prognoseanforderungen in ein einziges Modell packen, sondern verschiedene Algorithmen rechnen lassen, um am Ende eine Zusammenschau zu erstellen. So etwas finden wir z.B. bei Meteoblue in der Multimodel-Prognose.
Und was bedeutet das für unser Flugwetter?
DIe für uns relevantesten Modelle sind:
- AROME , COSMO und ICON für Thermik und Wolkenentwicklung (Austrocontrol, Meteo-Parapente)
- NEMS4 für Temperatur, Niederschlag und mit Einschränkung auf das Winterhalbjahr auch Wind in der Grenzschicht (Meteoblue)
- ECMWF für Wind in verschiedenen Höhenschichten und Mittelfrist-Aussichten (Windy, netweather.tv)
Schön wärs, wir könnten jetzt einfach fürs Flugwetter diese Modelle hernehmen. So einfach ist das leider nicht. Es gibt noch ein paar andere Dinge zu beachten:
Die Sache mit der Grenzschicht
Wir Tuchflieger sind meist in der sog. Grenzschicht unterwegs. Vereinfacht gesagt ist dies der Bereich zwischen Boden und Wolkenbasis, genauer ist es der Bereich, in dem thermische Konvektion statt findet. Die Grenzschicht gibt es auch ohne Wolken und sie reicht noch in die (thermischen) Wolken hinein. Bei Meteo-Parapente ist dieser Bereich gelb hinterlegt. So kann man auf einen Blick erkennen, »wie hoch es geht«.
AROME, NEMS4 und COSMO funktionieren für die Vorhersage der thermischen Konvektion recht gut (Austrocontrol, Meteoblue, Segelflugwetter DWD, Windy). D.h. sie sagen Thermikstärke und erreichbare Höhe gut voraus, ebenso die Bildung von Cumuli, Überentwicklungen, den daraus resultierenden Niederschlag und thermisch bedingten WInd (Talwind, Bergwind, Konvergenzen, thermischer Bodenwind). Für die Vorhersage vom überregionalem Wind am konkreten Startplatz sind sie weniger geeignet. Hier wiederum ist ECMWF etwas besser (Windy).
Meteo-Parapente berücksichtigt mit einem eigens optimierten Modell sowohl den thermischen, als auch den überregionalen Wind. Die Prognose ist in der Regel zumindest für den aktuellen und den nächsten Tag ziemlich genau. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: die Grenzschicht ist im Verhältnis zur (vom Modell angenommenen) Geländehöhe relativ dick. Konkret: in den Alpen sagt MPP meist zu viel Wind vorher, hier sind die Werte als Spitzen zu verstehen. Im Mittelgebirge und Flachland stimmen die Prognosen zumindest für das Sommerhalbjahr sehr gut.
Die Sache mit der Jahreszeit
Nun wissen wir alle, dass es im Frühling und Sommer meist hoch hinaus geht, im Herbst und Winter eher geländenahes Fliegen angesagt ist. Mit anderen Worten: die Dicke der Grenzschicht hängt sehr von der Sonneneinstrahlung ab. In der kühlen Jahreszeit ist sie eher dünn, in der warmen gerne dick. Da die Grenzschicht-orientierten Modelle, allen voran NEMS4, AROME und Meteo-Parapente, am besten bei ausgeprägter Konvektion (Thermik) funktionieren, liegt die Wind-Prognose dieser Modelle im Herbst und Winter gerne mal satt daneben.
Zudem findet sich in den Tälern meist ein mehr oder weniger ausgeprägter Kaltluftsee, der für die Modelle zu lokal und zu klein ist, um ihn zu berücksichtigen. So kann es am Boden windstill sein und in der Höhe durchaus heftig pusten. In der bodennahen Schicht kann der Wind aber auch mal stärker aus komplett anderen (und sehr unterschiedlichen) Richtungen wehen, als wenige hundert Meter darüber.
Gebrauchsanweisung für Herbst und Winter
Was heißt das aber konkret - wie entdecke ich die raren herbst- und winterlichen Flugtage im Wirrwarr der Windprognosen?
- Eine erste, gute Orientierung liefert Meteoblue. Gibt man den Startberg oder -Ort für die Prognose ein, bekommt man eine recht brauchbare Voraussage für den überreginalen Wind - wohlgemerkt: in der kühlen Jahreszeit! Mit Werten zwischen 15-25 kmh lässt es sich meist gut starten und oft schön soaren, bei denselben Vorhersagewerten im Sommer wirbeln heftige thermische Turbulenzen bis 40km/h die Tüte hoffentlich schon vor dem Start durcheinander.
- Ein Blick auf den Modellvergleich (Meteoblue-Mulitmodel) hilft die Zuverlässigkeit einzuschätzen: Wenn die NMM und NEMS-Modelle alle etwa ähnlich vorhersagen, dann passen deren Windwerte gut zur Realität vor Ort. DIe anderen Modelle kann man für den lokalen Startplatzwind getrost ausklammern.
- Bei Meteo-Parapente schaut man erst mal nach der Dicke der Grenzschicht. Ist sie im Verhältnis zum Gelände (Berg) gering, sind die Prognosewerte gerne zu hoch. Ist der gelbe Bereich etwas dicker, dann stimmen die Werte oft gut.
- Für Gebiete außerhalb Zentraleuropas (schraffierter Bereich bei MPP) ist das sonst sehr feine Modell nur eine ganz grobe Orientierung. Die Windkarten von Meteoblue (zu finden bei Wetterkarten(neu) oder bei den Strömungskarten unten auf der 7-Tage-Prognose) prognostizieren für diese Regionen deutlich besser.
- Für eine Vorschau über mehr als zwei Tage vo taugen am besten die Windoptimierten NMM-Modelle sowie NEMS12, zu finden wiederum in der Multimodel-Prognose von Meteoblue.
- Bei Windy funktioniert für den Wind im Winterhalbjahr das ECMWF Modell am besten. NEMS4 liegt wegen fehlender Thermik gerne deutlich daneben, ICON ist für den Wind eher unbrauchbar, die Niederschlagsprognose des Modells ist dagegen meist gut. Bei Windy immer den Wind auf Startplatzhöhe beachten, nicht den Bodenwind!
Genauer gehts leider nicht - oder glücklicher Weise. Denn das schöne an der motorlosen Fliegerei ist ja, dass wir immer mehr Gespür für die Natur, für ihre Gesetzmäßigkeiten und für ihre Überraschungen entwickeln, dass es zu jeder Jahreszeit andere und eigens schöne Flugbedingungen gibt und wir es immer wieder als Glück schätzen dürfen, wenn ein genußvoller Flug gelingt.
Viel Glück beim Wettercheck und schöne Herbst- und Winterflugtage!